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Channel: AFP – Henning Uhle
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Reingehört: „Spirit“ von Depeche Mode

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Piano - (C) cocoparisienne CC0 via Pixabay.de

Vor ein paar Tagen erschien das vierzehnte Studio-Album von Depeche Mode mit dem Namen „Spirit“. 50 Minuten wollten sie zeigen, wo der Hammer hängt. Nachdem mir „Delta Machine“ von 2013 nicht so sonderlich gut gefiel und „Sounds of the Universe“ von 2009 nahezu spurlos an mir vorbeiging, habe ich mir von „Spirit“ einiges erwartet. Die Hauptsingle „Where’s the Revolution“ ließ ja auch schon gutes vermuten. Also hörte ich mal rein.

Was bitte soll das denn sein? Depeche Mode waren eigentlich nie dafür bekannt, Motown-ähnlichen Soul zu fabrizieren. Mit „Going backwards“ wird der Hörer in ein gleichförmiges und völlig unspektakuläres Liedchen mitgenommen. Es folgt das oben verlinkte „Where’s the Revolution“. Und dann haben wir „The worst crime“, was irgendwie so völlig uninspiriert dahin plätschert. Hä? Dann wird es irgendwie anders.

„Scum“ poltert vor sich hin. Verzerrte Gesangsstimmen, ein nervöser Elektro-Rhythmus und eine Aufmachung, die so klingt, als hätte man versucht, sich an das erste Album „Speak & Spell“ zu erinnern. Es blieb aber bei dem Versuch. „You move“ haben dann Dave Gahan und Martin Gore gemeinsam geschrieben. Ein wenig aufgewärmtes von „Construction Time again“ oder von sonstwann aus den Achtzigern, nur ohne das damalige Feuer. Die Band war immer gut mit düsteren, sphärischen Balladen. Und so blitzt das mit „Cover me“ ein wenig auf, es ist halt etwas lang. Und dann sind wir schon durch eine Hälfte durch.

Mit „Eternal“ haben wir ein kurzes Klagelied. Es wirkt ein wenig, als wollte Martin Gore hier auf das erste „Counterfeit“ zurückgehen. An sich nicht schlecht. Aber irgendwie ein Fremdkörper. Vor allem vor dem bluesigen „Poison Heart“. Was man von diesem Lied halten soll, muss jeder selbst wissen. Und dann wartet „So much love“ wie ein verzerrtes „A Question of Time“ auf. Und dann kommt der „Poorman“ mit einer Mischung aus Gospel und Sound-Experimenten. Wenn sie doch nur mal auf Verzerrer verzichtet hätten. Was soll der Quatsch?

„No More (This Is the Last Time)“ versöhnt dann sogar etwas nach dem eben gehörten Sound-Desaster. Aber auch hier geht es wieder nicht ohne Verzerrer. Und irgendwie fehlt hier die Inspiration. Kann man eben nichts machen. Abgeschlossen wird das Album mit „Fail“. Was läuft alles falsch in der Welt? Martin Gore klagt an. Aber es hätte auch kürzer sein können. Und auf unsinnige Klangexperimente hätte man verzichten können.

Nee, ernsthaft? Ja, die Scheibe ist sperrig, finster, wütend. Aber so völlig frei von jeglicher Inspiration? Ich weiß, wie es ist, sich Alben erarbeiten zu müssen. Aber bei „Spirit“ gibt man irgendwann auf. Es fehlt so das, was ich bei Depeche Mode immer geschätzt habe: Die Unumstößlichkeit. Aber irgendwas muss vor 20 Jahren nach „Ultra“ passiert sein. Spätestens seit „Playing the Angel“ 2005 sind Depeche Mode nicht mehr die, die sie mal waren.

Freilich ist das kein Pop, was Depeche Mode da auf „Spirit“ abgeliefert haben. Selbstverständlich sind sie politisch und kritisch und all das. Meine Güte, das kritisiere ich doch gar nicht. Das ist aber nun nicht so etwas außergewöhnliches für die Band, die sich mit Krieg auseinandergesetzt (Tora! Tora! Tora!), den Kapitalismus geächtet (Everything counts), die Meinungen gespalten (Blasphemous Rumours), Liebesschnulzen fabriziert (A Question of Lust), den Nationalsozialismus angeprangert (Pimpf), Drogenprobleme thematisiert (Clean), über das Leben erzählt (Walking in my Shoes), von Heimatlosigkeit erzählt (Home) und noch so vieles mehr gemacht hat.

Depeche Mode waren alles, nur nie Pop. Sie waren immer unbequem. Aber irgendwie ist es so, dass das Besondere, das die Band immer ausgezeichnet hatte, nicht mehr da ist. Nach „Ultra“ 1997 kam es irgendwie zum Bruch. Schon vorher stieg ja Alan Wilder aus. Aber nach „Ultra“ machten die Mitglieder erstmal ihre eigenen Dinge. Und ab „Playing the Angel“ waren Depeche Mode nicht mehr da. Ja, sie haben konstanten Erfolg. Aber irgendwann wird es tatsächlich auch anderen auffallen, dass „Spirit“ eine Sammlung von zufällig durchgewunkenen Liedern ist.

Wer mich fragt, was ich richtig gut auf dem Album finde, so muss ich ehrlich sagen, dass es „Where’s the Revolution“ ist. Insofern haben mich Depeche Mode veralbert. Wo es bei vielen Alben so war, dass neben der Hauptsingle noch etliche weitere starke Lieder zu finden sind, die oftmals noch geiler waren als die allererste Single. Da ist aber nichts stärker als die Single. Und das ist die Veralberung.

Nehmen wir das Album „Music for the Masses“ und dort einfach mal die Singles, die alle gleich gut sind. Es ging los mit „Strangelove“, worauf „Never let me down again“, „Behind the Wheel“ und „Little 15“ folgten. Die restlichen Lieder des Albums stehen den Singles aber in keinster Weise nach. Und so kann man das auf so viele Alben beziehen. Bei „Spirit“ fehlt das Alles. Außer der Single ist da nicht viel, was in Erinnerung bleibt.

Alles in allem ist „Spirit“ ein Konzept, ein Manuskript. Es ist eine Vorstellung, wie ein Album klingen könnte. Aber es wirkt irgendwie unfertig. Und da habe ich noch keinen Ton zum textlichen Inhalt gesagt. Der ist nämlich auch mit der Single voll und ganz erklärt. Die elf Stücke um „Where’s the Revolution“ herum wirken wie Füllwerk. Dass ich einmal so wenig Substanz bei den Göttern der Synthie-Musik erleben würde, hätte ich nicht gedacht. Schade eigentlich, aber ich wünsche Depeche Mode dennoch eine positive Zukunft. So als Multimillionen-Dollar-Unternehmen, denn mehr ist es nicht mehr.


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