1993 markierte ein musikalisches Erdbeben, als Depeche Mode nicht mehr die Synthie-Klänge im Vordergrund hatten. „I feel you“ donnerte durch Europa. Und es kündigte an, was von Depeche Mode in den Neunzigern zu erwarten war. Das mystische „Violator“ mit seinen Welthits war Vergangenheit. Die Kurzhaar-Frisur und die frische Rasur von Dave Gahan auch. „I feel you“ war laut, rockig, spirituell, sexy. Das sorgte für ein gnadenloses Aufräumen der Charts: Nirvana? Das waren Kindergartenkinder im Vergleich zu dem, was Depeche Mode da abzogen.
Ich fühle dich. Deine Sonne scheint. Ich fühle dich in meinem Geist. Du bringst mich dahin, wo das Königreich ist. Du bringst mich nach und durch Babylon. Ich fühle dich. Dein Herz singt. Ich fühle dich. Die Freude, die es dahin bringt, wo der Himmel wartet. Diese goldenen Tore. Und wieder zurück. Du bringst mich zur und führst mich durch die Vergessenheit. Ich fühle dich und deine geschätzte Seele und bin unversehrt. Ich fühle dich und deine aufgehende Sonne. Mein Königreich komme! Ich fühle dich und jede Bewegung, die du machst. Ich fühle dich und jeden Atemzug, den du machst. Wo Engel singen und ihre Flügel ausbreiten, steigt meine Liebe empor. Du bringst mich heim zum Thron des Himmels. Stück für Stück. Das ist der Morgen unserer Liebe. Das ist das Erwachen unserer Liebe.
Na, ist das nicht sexy? Kein Mensch weiß wirklich, ob „I feel you“ ein Liebeslied ist. Es könnte genauso gut eine Andacht sein. Wie gesagt, das Lied ist auch spirituell, wie ich oben schrieb. Wie das gesamte Album, das übrigens wortwörtlich „Lieder vom Glauben und von Hingabe“ heißt. Oder halt „Glaubens- und Andachtslieder“. Wie man will. Angeblich dreht sich „I feel you“ um eine Verbindung zwischen zwei Individuen. Und mit dem Lied wurden die Fans für das kurz darauf erschienene Album eingenordet wie sonst nie.
„Songs of Faith and Devotion“ zählt unter den Fans zu den besten Alben der Band. Und „I feel you“ sorgte durch seine komplett andere Schiene für reichlich Verwirrung unter den Fans. Wie anders Depeche Mode zu der Zeit waren, hatte seine Gründe. Denn die Band war nach „Violator“ heillos zerstritten und drohte, auseinander zu brechen. Seit „Ultra“ vier Jahre später sind sie ja auch nur noch zu dritt. Aber das ist okay, so lang es solche Erdbeben wie „I feel you“ gibt.