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Irgendwas mit Derby Lok Leipzig gegen Chemie Leipzig

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Fußball im Laub - (C) StockSnap CC0 via Pixabay.de

„Zecken, Zigeuner, Juden!“ – Solche Rufe erklangen gestern im „geschichtsträchtigen“ Derby Lok Leipzig gegen Chemie. Es war ein normales Regionalliga-Spiel. Und wie das bei Derbys so ist, es geht recht haarig zu. Dass allerdings ein gesamter Stadtteil in Beschlag genommen wurde und somit eine ganze Großstadt mal wieder in zweifelhaften Ruf kam, gibt es wohl nur hier in Leipzig. Wie gut man so etwas finden kann, muss jeder für sich selbst entscheiden. Die Einen sagen, es würde Krieg herrschen. Die Anderen erzählen irgendwas von Leidenschaft und Tradition. Aber was war es nun, das Spiel in Leipzig-Probstheida?

Nur ein paar Bengalos

Freilich: Das Regionalliga-Spiel gestern stand unter zwei großen Namen: Der 1. FC Lokomotive Leipzig empfing die BSG Chemie Leipzig. Der gastgebende Club wurde im Dezember 2003 gegründet, der Gast-Club im Juli 1997. Dennoch spricht man da immer von den „großen Traditionsvereinen“. Das ist dem Umstand geschuldet, dass es ähnlich klingende Fußballclubs bereits in der DDR gab. Der Eine hatte früher als Trägerbetrieb die staatliche Eisenbahn, der Andere einen Chemiebetrieb, nachdem er aber auch erst „SC Lokomotive“ hieß.

Es gibt seit den Sechzigern große Befindlichkeiten zwischen den Blaugelben und den Grünweißen. Und diese eskalieren immer wieder. Man kann schon sagen, dass das in Leipzig etwas anderes ist, als wenn der HSV gegen St. Pauli, als wenn die Bayern gegen 1860 München, als wenn die Hertha gegen Union Berlin spielen. Beim Aufeinandertreffen der beiden Leipziger „Traditionsvereine“ ist immer mit kriegsähnlichen Zuständen zu rechnen. Mancher versucht, das herunter zu spielen. Aber waren es denn nur „ein paar Bengalos“ gestern?

Die erste Halbzeit blieb dabei sogar sehr gesittet und einem Derby angemessen. Klar kochten die Gemüter hoch. Drehen wir einfach mal die Zeit um 28 Jahre zurück: Dann wäre es nämlich das Derby zwischen dem Eliteclub und dem „Rest von Leipzig“ gewesen. Aber beide Clubs sind Neugründungen, das nur mal nebenbei. Die erste Halbzeit war friedlich, dafür war in der zweiten Hälfte Chaos angesagt: Bengalos, Übergriffe, Wasserwerfer, Spielunterbrechungen. Ja, ich weiß schon: „Gehört alles zu einem Derby dazu.“ Wirklich? Ich bin mir da nicht sicher.

Das organisatorische Desaster

Knapp 6400 Zuschauer waren gestern im Bruno-Plache-Stadion in Leipzig-Probstheida. Laut Wikipedia hat dies aber ein Fassungsvermögen von 10900. Also nicht mal 2/3 der Karten wurden verkauft. Ein Derby, das nicht ausverkauft war? Irgendwo habe ich gelesen, dass Lok um die 5000 Karten an Chemie hätte verkaufen können. Mit anderen Worten: Der Gast-Club Chemie hätte in Probstheida ein Heimspiel veranstalten können. Und dabei hielt die verstärkte Polizei den Mannschaftsbus der Leutzscher für einen Fanbus und leitete ihn entsprechend um, was zur Verzögerung beim Anpfiff führte

Dann eskalierte irgendwie die Sache in der zweiten Halbzeit. Und dann begannen einige Chemie-Fans mit dem Abfeuern von Feuerwerkskörpern. Daraufhin wurde das Spiel unterbrochen. Wasserwerfer fuhren auf, und Polizisten bezogen Stellung. Dann wurde das Spiel wieder angepfiffen, und plötzlich schossen Lok-Fans mit Feuerwerkskörpern auf Polizisten. Die verteidigten sich mit Tränengas, und das Spiel wurde wieder unterbrochen. Pyrotechnik flog dann sowohl aus blaugelber, als auch aus grünweißer Ecke in Richtung Spielertunnel, wo unter anderem Einlaufkinder warteten.

Die Frage ist: Wie konnten Feuerwerkskörper bei so einem brisanten Fußballspiel überhaupt ins Stadion gelangen? Man weiß ja nun um die enorme Rivalität und Explosivität der Duelle zwischen beiden Clubs. Da dies immer wieder so weit kommt, sehe ich es als organisatorisches Desaster an, dass Feuerwerkskörper und dergleichen ins Stadion gelangen konnten. Der Einsatz der Polizei muss von beiden Clubs bezahlt werden. Zudem kommen wohl drastische Strafen des Nordostdeutschen Fußballverbandes auf die Clubs zu. Und ich denke: Zu Recht.

Und sonst so?

Ach ja, es wurde ja auch Fußball gespielt. Die Leipziger Stadtderbys machen eigentlich immer nur von sich Reden, weil es oft zu Ausschreitungen kommt. Kurz und gut: Schwach angefangen, stark nachgelassen. Oder wie ich öfter schon zu allen möglichen Spielen gelesen habe: Es sinkt für Sie das Niveau. Je mehr die Situation auf den Rängen eskalierte, desto mehr verflachte die Partie. Genützt hat sie eigentlich keinem der beiden Clubs. Es ging 0:0 aus. Highlights gab es wenige, dafür sechs gelbe Karten.

Am Ende steht Lok Leipzig mit 17 Punkten Rückstand hinter Tabellenführer Energie Cottbus auf Platz 5. Chemie Leipzig steht mit einem Spiel mehr mit 8 Punkten Vorsprung auf den Tabellenletzten FSV Luckenwalde auf dem drittletzten Platz. Die Regionalliga Nordost sieht so aus, dass irgendwie alles möglich ist, außer dass Cottbus vom ersten Platz verdrängt werden kann. So bleiben beide Leipziger Clubs dort, wo sie waren. Außer Spesen nichts gewesen. Übrig bleibt, dass diese Spiele immer viel Chaos bringen.

Wir dürfen uns aber nicht falsch verstehen: Es gibt auch immer eine ganze Menge friedlicher Fans bei diesen Spielen. Die wollen einfach nur ihren Club anfeuern. Die leiden ebenso unter solchen Ausschreitungen wie viele andere. Im Prinzip müssten beide Clubs energisch gegen die Randalierer vorgehen. Wenn sie denn wollen würden. Und da habe ich meine Zweifel.

Der Artikel "Irgendwas mit Derby Lok Leipzig gegen Chemie Leipzig" erschien zuerst bei Henning Uhle.


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